7 Dinge, die ich nicht werden will

Das erste Semester liegt bereits hinter mir und fühlte sich fast so flott an wie die Vernichtung meiner Ritter-Sport-Alpenmilch in der letzten Prüfung. Was von diesen drei Monaten bleibt? Eine Menge Vorfreude auf die kommenden Jahre. Hoffentlich ein ganzes Wörterbuch auf Synapsen-Basis voller alt-hebräischer Vokabeln. Viele neue Eindrücke aus der Welt der Theologen. Sehr viele positive, aber auch einige, die mir den Anstoß gegeben haben, mich zu fragen, was ich eigentlich werden will. Also weniger im Hinblick auf ein Berufsfeld, sondern vielmehr was meine Persönlichkeit angeht. Die Frage hat mich überfordert.

Ein Freund von mir hat mir zu Beginn des Semesters erzählt, er habe eine „Not-To-Do-Liste“. Eine Liste, auf die er Dinge schreibt, auf die er richtig Bock hätte, die er aber aus Zeitgründen nicht tun sollte. Brillante Idee, die mir sicherlich auch guttun würde. Und sie hat mir den Anstoß gegeben, von der anderen Seite an meine Fragestellung heranzugehen: Was möchte ich auf keinen Fall werden? Was gehört auf meine innere „Not-To-Be-Liste“? Nach dem ersten Semester Theologiestudium umfasst die Liste sieben Punkte in willkürlicher Anordnung. Erinnert mich daran, falls ich im Laufe der Zeit einen dieser Kriterien erfüllen sollte.

1) Am Ende der Suche

Warum ich Theologie studiere? Weil ich auf der Suche bin. Ich bin mir unsicher, nach was genau. Nach Antworten? Nach neuen Fragen? Nach einem weiteren Blick auf Gott? Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit Wahrheiten, die ich mir zusammengereimt habe? Eins bleibt sicher: Ich will ein Suchender bleiben, auch wenn ich den nächsten Wanderweg durchlaufen hab. Ich will mich nicht sagen hören: „Ich hab das Leben, das Universum und alles ausreichend verstanden.

2) Ein konservierender Beamter

Manche Pfarrer schweben nur noch hin- und her nach Regelwerk zwischen staubig-pseudo-staatstragenden Predigten, zeremoniellem Hochhalten unzugänglicher, kultureller Traditionen und Restaurationsplänen für Kirchenglocken. Um nur noch leidenschaftslos dem Ziel zu folgen, dass alles so bleibt wie es ist. Die Gegenwart braucht aber keine Kirche, die nur im Gestern lebt. Und gleich doppelt keine Theologen, denen das Vergangene wichtiger ist als die Menschen von heute und Zukunft von morgen.

3) Ein noch größerer Besserwisser

Die Beschäftigung mit Theologie kann durchaus eine kafkaeske Verwandlung in einen Jahresdaten-spuckenden, nie-verstummenden Gehirn-Zombie mit sich bringen. Ein sprachliches Wrack, das von normalen Menschen nur noch mit Babelfisch im Ohr verstanden werden kann. Dies sollte vermieden werden. Ich rede gerne und bin gerne im Recht. Beide Fähigkeiten benötigen kein weiteres Brennholz.

4) Die wandelnden 50er-Jahre in grau-beige

Keine Ahnung wann genau der Zeitpunkt kommt, an dem man während des Studiums aufwacht und seinen Körper in beigen Cordhosen, grauen, schnittlosen Rollkragen-Wollpullovern und schwarzen Schuhen wiederfindet. Ich hoffe, bis dahin ist die Zeitmaschine erfunden und ich kann diesen Tag skippen und bei bunten Hosen, Schals und Apple-Watch-Armband bleiben.

5) Wahrheitsfresser

Ich will Andersdenkenden gegenüber immer offen bleiben. Auch wenn sie Dinge tun, die mit meiner ausgeschnittenen Schablone von Christentum nicht zusammenpassen. Jeder hat ein Stück weit immer seine eigenen Auffassungen, Ausdrucksformen und Nuancen von Glauben. Es wäre auch lächerlich anzunehmen, dass Gott sich einzelnen menschlichen Köpfen einfangen lässt. Und es macht mich wütend und traurig zu hören, wie manche Theologen abfällig und abwertend über Andersgläubige sprechen. Auch wenn wir studiert haben – es kann in keinem Universum unsere Aufgabe sein, anderen ihren Glauben abzusprechen, ihnen die eigenen Überzeugungen zwanghaft aufzudrücken oder verachtend und desinteressiert mit anderen Weltanschauungen umzugehen.

6) Deutsch-intellektueller Kopfmensch

Niemand, der mich näher kennt, würde mich als emotional-intuitionsbeflügelten Gefühlsmenschen bezeichnen. Ich war schon immer eher rational in meinem Denken. Trotzdem kann ein so theoretisches, geisteswissenschaftliches Studium diese Eigenschaft noch zu ihrem vollen Glanz bringen, was ich liebend gerne vermeiden würde. Intellektuelle Geistliche haben wir in Deutschland genug. Das Christentum braucht Menschen, die offen dafür sind, dass Gott nicht nur durch Nachdenken zu finden ist.

7) Systemblind

Ich lieb‘ die Kirche. Aber sehe gleichzeitig sehr vieles sehr kritisch. Wenn man zu lange in einem Laden unterwegs ist wird man betriebsblind. So etwas darf mir im Blick auf die Kirche nicht passieren. Ich will weiter hinterfragen und aufmerksam für Missstände bleiben und gleichzeitig loyal versuchen, aktiv etwas zu ändern.

WTF?! Warum studierst du jetzt Theologie?!

Ich liebe meinen Job. Als Teenager habe ich davon geträumt, ein Designer zu sein. Menschen Dinge verständlich machen. Konzepte austüfteln. Sich auf immer neues einlassen. Begeistern. Die Welt ein bisschen hübscher machen. Und bisher kann ich sagen: Der Beruf hält, was er verspricht.

Ich bin schon immer ein Mensch, der Spiritualität sucht und gleichzeitig auch kritisch hinterfragt. Deshalb lag das Thema Theologiestudium schon häufiger auf meinem inneren Tisch. Jedoch bisher immer nur wie eine in Comic Sans auf gelbem Papier gedruckte Broschüre, die danach schrie, aussortiert zu werden. Zu altbacken. Zu lange. Zu sehr an die komplizierte Struktur der Kirchen angepasst. Das Outfit eines Gemeindepfarrers war mir auch irgendwie nicht bunt genug. Und überhaupt: Braucht es für eine solche Entscheidung nicht eine eindeutige Berufung?

Abschlussphasen wie das Ende meines Informationsdesign-Studiums sind immer auch Phasen der Selbstreflexion. Anfang Januar stellte sich in mir deshalb eine tiefe, unerwartete innere Unruhe ein. Da drängte sich wieder dieser Gedanke auf: Theologiestudium – wäre das nicht was für die nächsten Jahre? Eigentlich reizt dich doch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit spirituellen Themen enorm! Und eigentlich wäre Designerpfarrer doch echt eine Kombination, die voll und ganz zu deiner Persönlichkeit passt.

Ich wurde misstrauisch. Bestimmt wieder eine Kurzschlussreaktion, bedingt durch irgendwelche inspirierenden Gespräche der letzten Monate oder durch motivierende Reden der Gebetshaus-Konferenz zwei Wochen zuvor. Trotzdem war nach diesen schlaflosen Nächten klar, dass ich zumindest einmal genauer hineinschauen muss. Die Option als realistische Möglichkeit prüfen, ohne das Ganze mit dem Verweis auf mein erfüllendes Berufs- und Privatleben in den gedanklichen Papierkorb zu werfen. Ich hatte das Gefühl, dass Gott persönlich mich dazu auffordert, diesem Gedanken nachzugehen.

Dieses Nachgehen hat gedauert. Rund vier Monate lange habe ich mit Freunden, Wegbegleitern, Hobby- und Berufs-Theologen und der Family gemeinsam gerungen. Keine Einzige Person unter dem Dutzend Menschen, das auf meiner Gesprächsliste stand, war überrascht über meine Gedanken, was mich wiederum sehr überrascht hat. Ich sei schon immer ein spiritueller Mensch auf der Suche nach Gott gewesen und dieses Studium eine logische Konsequenz daraus. Logisch erschien mir das Ganze eher nicht. Kann ich es wirklich mit mir selbst vereinbaren, gegen jegliche Konventionen ein zweites Studium anzufangen, das erst einmal überhaupt gar nichts mit meiner ersten Profession, die ich liebe, zu tun hat?

Ich glaube folgendes: Wir brauchen mehr Mut zur Absurdität. Um unseren Enkeln eines Tages begeistert von unserem bunten Leben erzählen können müssen wir auch bereit sein, Farbkontraste zu setzen. Müssen wir bereit sein, Dinge selbst zu entscheiden, anstatt abzuwarten, bis sie für uns entschieden werden. Müssen wir Neues wagen anstatt das zu tun, was wir sowieso instinktiv tun würden. Vielleicht bedeutet dieses Neue, der erste Designerpfarrer zu werden, vielleicht bedeutet es aber auch nur, alles studiert zu haben, wofür ich Leidenschaft habe. In zwanzig Jahren möchte ich jedenfalls auf meine ganz eigene, kantige und spannende Lebensreise zurückschauen anstatt auf einen perfekten Lebenslauf. Und du?