Innovation ist immer auch Risiko.

„Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt!“ Keine Punchline hat in den vergangenen Jahren mehr Aufregung, mehr Initiative und mehr Innovation in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hervorgerufen als diese. Ich hatte Gänsehaut, als Sandra Bills bei ihrer Abschlusspredigt des Kirchentags 2019 auf die Seenotrettung zu sprechen kam. Noch viel mehr hat mich aber geflasht, wie es danach weiterging. Es wurde kein neues „Amt für Seenotrettung“ eingerichtet und auch keine Herde Pfarrer:innen in Ausschüsse entsandt. Nein. Die Kirche hat das Bündnis „United4Rescue“ aus der Werft gelassen und sich dann ganz untypisch als ein Matrose von vielen eingereiht. Mich inspiriert dieses unkonventionelle und vernetzt denkende Vorgehen der EKD.

Mich inspiriert dieses unkonventionelle und vernetzt denkende Vorgehen der EKD. 

Wo können wir gemeinsam mit anderen Kirchen, NGOs, Vereinen und Menschen Visionen spinnen? Wo müssen wir das Risiko eingehen, Dinge aus der Hand zu geben?

Seit diesem Jahr darf ich als erster Abgeordneter von Kirche für morgen unsere Landeskirche in der Synode der EKD vertreten. Mich beeindruckt, wie viel Innovation dort trotz der immensen Unterschiedlichkeit der Player zu sehen ist. Das zeigen beispielsweise die „12 Leitsätze“, die sich die letzte Synode als Kompass für die Zukunft gegeben hat. Hier wird etwa aufgeführt, dass zehn Prozent des Haushalts als „geistliches Risikokapital“ für Erprobungsräume und kreative Experimente eingesetzt werden sollen. Solche gemeinsamen Zukunftsvisionen sind Innovationsmotor und helfen, sich nicht im Klein-Klein zu verlieren. Und es drängt auch mich zu der Frage: Wo ist mein ganz persönliches „geistliches Risikokapital“?

Aber nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Tun ist die EKD mutig. Seit dieser Legislaturperiode müssen mindestens 20 der 128 Synodalen unter 27 Jahren alt sein. Kaum eingeführt, wurde die Quote sogar direkt übertroffen. Wie würde sich unsere Kirche verändern, wenn wir überall knapp 20% junge Menschen an Bord hätten? Ja, was wäre eigentlich, wenn wir ihnen sogar echte Leitungsämter zutrauen würden? Auch hier setzt die EKD mit Anna-Nicole Heinrich als Präses neue Maßstäbe. Statt erfahrenen Polit-Profis und Ex-Minister:innen hat nun eine 25-Jährige Studentin das höchste Laienamt unserer Kirche inne. Ich habe sie als leidenschaftliche, kompetente und gut vernetzte Teamplayerin erlebt, die für meine Generation Kirche ganz neu nahbar macht.

Was wir von der EKD lernen können? Innovation geschieht nicht, wenn wir auf Nummer sicher spielen. Innovation braucht Risikobereitschaft. Die Bereitschaft, Wege zu gehen, die bisher vielleicht nur Gott selbst gesehen hat.

#Apokalypse2060

Oder: Hoffnungsvoll in die Zukunft.

49% Schwund der Mitgliederzahlen bis 2060 prognostiziert die Universität Freiburg also. Und die kirchliche Welt schreckt plötzlich auf, als würde man die Hiobsbotschaft zum ersten Mal hören. Manchmal fühle ich mich ernsthaft wie in einer Herde Klimaleugner. Da werden konsequent die Augen vor der Realität verschlossen. Da wird ein „weiter so, aber bisschen besser“ als einzig denkbarer Lösungsvorschlag in den Ring geworfen. Da werden natürliche Ursachen als Sündenbock vorgeschoben, wie etwa der demographische Wandel.

Man stelle sich einmal vor, Daimler würde eine solche Pressemitteilung herausgeben: 

Das Demographie-Problem ist akut. Die Senioren, die unsere allseits geliebte und heilige E-Klasse bisher kauften, werden leider immer weniger. Wir arbeiten aber bereits an einem E-Klasse-Modell mit 400 PS, das für junge Menschen attraktiv sein wird.

Ich würde den Konzern auslachen, denn ich will keine E-Klasse. Ich will, dass sie sich gefälligst überlegen, wie die Mobilität der Zukunft aussieht.

Liebe Evangelische Landeskirche in Württemberg. Meine Generation möchte keinen Sonntagmorgen-Gottesdienst, den wir nur ein kleines bisschen getunt haben. Selbst unter den sog. hochreligiösen (Definition) in meinem Umfeld gehen nach meiner Erfahrung eigentlich nur die Theologiestudierenden regelmäßig in einen unserer Gottesdienste. Wir müssen endlich davon wegkommen, in ihm den alleinigen Mittelpunkt kirchlichen Lebens zu sehen. Ich will, dass wir uns gefälligst endlich gemeinsam überlegen, wie Glaube und Spiritualität in Zukunft aussehen können.

Dafür brauchen wir den Mut, die Finanzen und die Pioniere für kirchliche Start-Ups, in denen auf der Suche nach der Kirche von Morgen mit mehr Freiheit experimentiert werden darf. Wir brauchen statt Veranstaltungs-Feuerwerken einen klareren Fokus auf Beziehungen. Wir brauchen besseres Marketing und Experten für Digitalisierung. Wir müssen Ehrenamtliche vor Ort stärken, ermutigen und befähigen, statt sie strukturell in ihrer Arbeit zu behindern. Wir müssen jetzt aber vor allem ertappt innehalten und hinhören. Darauf, was die Menschen tatsächlich brauchen und darauf, was Gott von uns als Kirche möchte.

Ich bleibe in alle dem hoffnungsvoll. Hoffnungsvoll, weil ich Menschen sehe, die schon jetzt neue Pflanzen in die Erde stecken wie Wall-E nach der Rückkehr zur Erde. Hoffnungsvoll, weil ich nach wie vor immenses Potential in der Evangelischen Landeskirche sehe. Hoffnungsvoll, weil drohende Apokalypsen oft Neuanfänge mit sich bringen. Hoffnungsvoll, weil ich weiß, dass die Bewegung um den Zimmermann aus Nazareth letztlich nicht unser Projekt ist, sondern Gottes.

Kirche als Startup-Inkubator

oder: Der Traum von Raum für neue Ideen

„Focusing on one thing and doing it really, really well can get you very far.“

– Kevin Systrom, Instagram

Die Wetteraussichten für die Kirchen in Deutschland stehen auf Rekordtief. Immer weniger Menschen interessieren sich noch für das wöchentliche Retro-Kultur-Spektakel mit wahlweise Weihrauch- oder Schimmelgemäuer-Beigeschmack. Man könnte – analog zur Politik – von einer echten Kirchenverdrossenheit sprechen. Für die Prognose braucht es keine Propheten: Wir brauchen neue, innovative Ideen. Und mit innovativ meine ich nicht ein bisschen mehr EDM-Musik im Gottesdienst anstelle von alten Chorälen, ein bisschen stylishere Gemeindebriefe anstelle von getackerten A4-Schwarzweißkopien und ein bisschen besseren Kaffee anstelle des günstigsten Lidl-Filterkaffees im 5-Liter-Pumpspender. Nein, es braucht radikal innovative Ideen. 

Auch in der Wirtschaftswelt haben die großen, altehrwürdigen deutschen Tanker wie Bosch, Daimler und die Deutsche Bahn Probleme. Große Läden haben eben oft eine Innovations-hemmende Umgebung. Zu schwerfällig ist das Konstrukt aus Regeln, komplexen Prozessen und vielen Managementschichten. Kleine, schlanke, für ein bestimmtes Ziel gegründete Startups bieten oft besseren Nährboden für neue Ideen und kreative Lösungsansätze. 

Was die Großkonzerne aber von uns als Kirche unterscheidet: Sie sind sich dessen bewusst. Mit sogenannten Inkubatoren stellen sie gezielt Mittel und Rahmen für die Entstehung von neuen Mini-Betrieben bereit und investieren damit in radikalen Wildwuchs. Im Bosch grow-Programm beispielsweise entsteht eine Firma um einen Roboter, der bei der Pflege von Spargel unterstützt, im Daimler Lab1886 die ÖPNV-App moovel, beim Deutsche-Bahn-Inkubator mindbox eine Software, die Passwörter auf dem Handy speichert. Statt sich nur auf die Kernkompetenz zu konzentrieren, wird ein Raum geschaffen, in dem Dinge ausprobiert werden können. Unkonventionelle Dinge. Dinge, die vielleicht gar nicht zur aktuellen Ausrichtung des Unternehmens passen. Dinge, die vielleicht sogar kompletter Bullshit sind und kein bisschen Geld abwerfen werden. Aber es gibt eben nur einen Ort, an dem große Ideen geboren werden: Beim Ausprobieren.

Ich wünsche mir eine Kirche, die auch bereit ist, diesen waghalsigen Schritt zu gehen. Geld, Personal und Raum für komplett neuartige Ideen zu bieten. Jenseits der Agende. Jenseits der bisherigen Strukturen.

In der vergangenen Woche war ich auf Studienreise in Großbritannien und durfte mit ansehen, wie dort die Anglikanische Kirche die diesen Kurs bereits verfolgt. Es wurden großflächige Förderprogramme gestartet, eine Pionier-Ausbildung für Gründer geschaffen und konsequent neue Zielgruppen in Betracht gezogen. Und plötzlich finden sich wieder kreative Pioniere in der Kirche, die Bock darauf haben, neues auszuprobieren: Eine Kirche im Hipster-Café. Eine Kirche, die Obdachlose und Missbrauchsopfer zum gemeinsamen Brotbacken versammelt. Eine Kirche, die sich als Food Market für zugezogene Migranten versteht. Eine Kirche, die Heimat und Austausch für an Demenz Erkrankte und deren Angehörige bietet. 

Viele Ideen von Startups scheitern gnadenlos. In der Wirtschaft genauso wie auch in der Anglikanischen Kirche.

Aber einige fallen auf guten Boden. Und für diese wenigen lohnt sich die Investition. Denn die verrückten, innovativen und kreativen Ansätze von heute entscheiden über die Alltagsrealität von morgen.

7 Dinge, die ich nicht werden will

Das erste Semester liegt bereits hinter mir und fühlte sich fast so flott an wie die Vernichtung meiner Ritter-Sport-Alpenmilch in der letzten Prüfung. Was von diesen drei Monaten bleibt? Eine Menge Vorfreude auf die kommenden Jahre. Hoffentlich ein ganzes Wörterbuch auf Synapsen-Basis voller alt-hebräischer Vokabeln. Viele neue Eindrücke aus der Welt der Theologen. Sehr viele positive, aber auch einige, die mir den Anstoß gegeben haben, mich zu fragen, was ich eigentlich werden will. Also weniger im Hinblick auf ein Berufsfeld, sondern vielmehr was meine Persönlichkeit angeht. Die Frage hat mich überfordert.

Ein Freund von mir hat mir zu Beginn des Semesters erzählt, er habe eine „Not-To-Do-Liste“. Eine Liste, auf die er Dinge schreibt, auf die er richtig Bock hätte, die er aber aus Zeitgründen nicht tun sollte. Brillante Idee, die mir sicherlich auch guttun würde. Und sie hat mir den Anstoß gegeben, von der anderen Seite an meine Fragestellung heranzugehen: Was möchte ich auf keinen Fall werden? Was gehört auf meine innere „Not-To-Be-Liste“? Nach dem ersten Semester Theologiestudium umfasst die Liste sieben Punkte in willkürlicher Anordnung. Erinnert mich daran, falls ich im Laufe der Zeit einen dieser Kriterien erfüllen sollte.

1) Am Ende der Suche

Warum ich Theologie studiere? Weil ich auf der Suche bin. Ich bin mir unsicher, nach was genau. Nach Antworten? Nach neuen Fragen? Nach einem weiteren Blick auf Gott? Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit Wahrheiten, die ich mir zusammengereimt habe? Eins bleibt sicher: Ich will ein Suchender bleiben, auch wenn ich den nächsten Wanderweg durchlaufen hab. Ich will mich nicht sagen hören: „Ich hab das Leben, das Universum und alles ausreichend verstanden.

2) Ein konservierender Beamter

Manche Pfarrer schweben nur noch hin- und her nach Regelwerk zwischen staubig-pseudo-staatstragenden Predigten, zeremoniellem Hochhalten unzugänglicher, kultureller Traditionen und Restaurationsplänen für Kirchenglocken. Um nur noch leidenschaftslos dem Ziel zu folgen, dass alles so bleibt wie es ist. Die Gegenwart braucht aber keine Kirche, die nur im Gestern lebt. Und gleich doppelt keine Theologen, denen das Vergangene wichtiger ist als die Menschen von heute und Zukunft von morgen.

3) Ein noch größerer Besserwisser

Die Beschäftigung mit Theologie kann durchaus eine kafkaeske Verwandlung in einen Jahresdaten-spuckenden, nie-verstummenden Gehirn-Zombie mit sich bringen. Ein sprachliches Wrack, das von normalen Menschen nur noch mit Babelfisch im Ohr verstanden werden kann. Dies sollte vermieden werden. Ich rede gerne und bin gerne im Recht. Beide Fähigkeiten benötigen kein weiteres Brennholz.

4) Die wandelnden 50er-Jahre in grau-beige

Keine Ahnung wann genau der Zeitpunkt kommt, an dem man während des Studiums aufwacht und seinen Körper in beigen Cordhosen, grauen, schnittlosen Rollkragen-Wollpullovern und schwarzen Schuhen wiederfindet. Ich hoffe, bis dahin ist die Zeitmaschine erfunden und ich kann diesen Tag skippen und bei bunten Hosen, Schals und Apple-Watch-Armband bleiben.

5) Wahrheitsfresser

Ich will Andersdenkenden gegenüber immer offen bleiben. Auch wenn sie Dinge tun, die mit meiner ausgeschnittenen Schablone von Christentum nicht zusammenpassen. Jeder hat ein Stück weit immer seine eigenen Auffassungen, Ausdrucksformen und Nuancen von Glauben. Es wäre auch lächerlich anzunehmen, dass Gott sich einzelnen menschlichen Köpfen einfangen lässt. Und es macht mich wütend und traurig zu hören, wie manche Theologen abfällig und abwertend über Andersgläubige sprechen. Auch wenn wir studiert haben – es kann in keinem Universum unsere Aufgabe sein, anderen ihren Glauben abzusprechen, ihnen die eigenen Überzeugungen zwanghaft aufzudrücken oder verachtend und desinteressiert mit anderen Weltanschauungen umzugehen.

6) Deutsch-intellektueller Kopfmensch

Niemand, der mich näher kennt, würde mich als emotional-intuitionsbeflügelten Gefühlsmenschen bezeichnen. Ich war schon immer eher rational in meinem Denken. Trotzdem kann ein so theoretisches, geisteswissenschaftliches Studium diese Eigenschaft noch zu ihrem vollen Glanz bringen, was ich liebend gerne vermeiden würde. Intellektuelle Geistliche haben wir in Deutschland genug. Das Christentum braucht Menschen, die offen dafür sind, dass Gott nicht nur durch Nachdenken zu finden ist.

7) Systemblind

Ich lieb‘ die Kirche. Aber sehe gleichzeitig sehr vieles sehr kritisch. Wenn man zu lange in einem Laden unterwegs ist wird man betriebsblind. So etwas darf mir im Blick auf die Kirche nicht passieren. Ich will weiter hinterfragen und aufmerksam für Missstände bleiben und gleichzeitig loyal versuchen, aktiv etwas zu ändern.

Vom anderen Ufer

oder: Markenstrategie für die Kirche

 

„Nur die Kraft und Aura einer guten Marke kann einen vor dem Ausverkauf schützen“
– Rolf Fehlbaum, Verwaltungsratspräsident der Designermöbelmarke Vitra

Wir sind umgeben und beeinflusst von erfolgreichen Marken. Die Marke Seitenbacher steht für schwäbischen Müsli-Genuss, Apple für ikonischen Luxus-Lifestyle, RTL II für gescripteten Pseudo-Alltag, Bosch für deutsche Qualitäts-Maschinen und Greenpeace für die Walrettung. Aber für was steht eigentlich die Marke Kirche? Schräge Orgelmusik? Naive Leichtgläubigkeit? Traditionsreiche Kultur? Je länger ich über diese Frage nachdenke, desto weniger Antworten finde ich. Wir sind irgendwie ein Mischwarenladen mit verschiedensten Meinungen, Vorlieben, Weltanschauungen und Prioritäten.

In der kommenden Woche wird das wieder besonders sichtbar, denn im „Landtag“ der evangelischen Kirche wird besprochen, ob gleichgeschlechtliche Paare in Zukunft auch eine kirchliche Eheschließung feiern dürfen. Bei dieser Diskussion prallen Welten aufeinander. Und das im gesamten Land. Es fliegen attackierend Bibelstellen und Schlagworte durch den Raum, es wird einander sowohl Toleranz als auch Menschlichkeit abgesprochen und es entstehen eisernere Fronten als bei Game of Thrones. So eisern, dass ich verstärkt das Gefühl habe, dass wir uns schon gar nicht mehr gegenseitig ernst nehmen. Die Menschen vom anderen Ufer der Debatte haben wir schon längst ihr „Christsein“ abgesprochen.

Dabei gibt es so viele wichtige Glaubensfragen, in denen wir uns definitiv nicht einig sind. Kleine Kostprobe gefällig?

 

Ich bin überzeugt davon, dass es noch tausend weitere Ufer unter uns Christen gibt. Und das ist auch völlig okay so, denn wir sind keine Verwaltungsgesellschaft im Auftrag der Wahrheit, sondern ein bunter Haufen an Bros und Sis’, die gemeinsam unterwegs sind. Keiner von uns hat die Wahrheit mit Löffeln gefressen, auch nicht, wenn wir versuchen, sie gehoben und gebildet mit Messer und Gabel zu schnabulieren. Und genau mit dieser Haltung sollten wir auch in theologische Diskussionen wie diese hineingehen. Diskussionen sind gut und essentiell wichtig, aber bei Diskussionen geht es nicht darum, zu gewinnen. Unsere Hauptaufgabe als Christen ist es nicht, anderen unsere eigenen Wahrheiten gewaltsam überzustülpen.

Was machen wir also in Zeiten wie diesen mit der Marke Kirche? Jesus selbst gibt da eine Spur vor:

„Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“
– Jesus in Johannes 13, 35 (Luther 2017)

Auch 2000 Jahre später ist dieser platt wirkende Spruch in der Konsequenz revolutionär. Jesus ruft uns weg von unseren Ufern hinaus auf den See. Dort, wo wir nicht mehr auf festem Wissen und absolutem Wahrheitsanspruch stehen, sondern aufeinander zulaufen. Was wäre, wenn Kirche dafür stehen würde, dass Menschen mit unterschiedlicher Meinung trotzdem gemeinsam schwimmen und sich nicht nur tolerieren, sondern lieben? Ich kenne uns gut genug, um zu wissen, dass wir das nie ganz schaffen werden, aber es sollte unsere primäre Markenstrategie bleiben. Bist du mit dabei? 

Warum die Kirche keine Designerpfarrer braucht!

Als vor einigen Monaten eine gute Freundin das Kunstwort „Designerpfarrer“ als zukünftige Berufsbezeichnung für mich in den Raum geworfen hatte, musste ich lachen. Vor meinem inneren Auge sah ich einen Typen in einer schnieken Sherlock-Robe mit dem typischen Beffchen genannten weißen Halselement eines Pfarrers, einer Louis-Vuitton-Tasche, glattgebügelten Haaren und strahlend weißen Nike Air Force 1 an den Füßen. Ich lehnte dankend ab, der Begriff lies mich jedoch nicht in Ruhe. Ein bisschen an Farbe scheint die Kirche irgendwie schon verloren zu haben in ihren vielen Jahren. Aber sind Designerpfarrer da die richtige Antwort?

Warum die Kirche keine Designerpfarrer braucht.

Viele Jahrhunderte lange war das Amt des Pfarrers, beziehungsweise von Geistlichen im Allgemeinen, in Europa äußerst angesehen. Spätestens seit dem Prunk-Bischof Tebartz-van Elst ist jedoch auch dem letzten klargeworden, dass sich dieses Blatt vollkommen gewendet hat. Die Zeit des Klerus ist vorbei. Und das ist auch gut so! Nur weil einzelne eine bestimmte Ausbildung genossen haben sind sie definitiv nicht die besseren Menschen. Wir brauchen keine Nike-Schuhträger. Wir brauchen keine Persönlichkeiten, die uns in Äußerlichkeiten, Selbstüberschätzung und Stolz Vorbilder sind. Davon haben wir genug in unserer Gesellschaft. Wir brauchen keine Designerpfarrer.

Am vergangenen Donnerstag hatte ich das Privileg einige frisch angehende Theologiestudenten kennenzulernen. Alles großartige und leidenschaftliche Menschen. Aber wir sind alle nicht perfekt. Wir werden auch nach 9 Semestern Studium keine Ostereier-legenden Weihnachts-Wollmilchsäue sein, auch wenn sich das Kirchenrat und Gemeinden vielleicht so wünschen. Wir brauchen auch definitiv keine Designerpfarrer. Wir brauchen verschiedene Charaktere, die sich gegenseitig ergänzen.

Was wir aus meiner Sicht ebenfalls nicht brauchen ist einfach nur mehr Style. Nur mit schönen Gebäuden – sorry, ich meine natürlich „Locations“, ansprechenden Flyern, hippen englischen Namen für Gottesdienste und mehr Bass in der Musik werden wir nicht plötzlich wieder relevant für Menschen. Wir machen alles vielleicht ein bisschen hübscher, in erster Linie dienen wir damit aber uns selbst und unserem ästhetischen Anspruch. Wir brauchen also auch keine Designerkirchen.

Warum die Kirche vielleicht doch Designerpfarrer braucht.

Der Unterschied zwischen Design und Kunst besteht darin, dass der Künstler seine Kunst zum Selbstausdruck nutzt und damit in erster Linie für sich selbst gestaltet. Der Designer hingegen arbeitet grundsätzlich für andere. Er hat einen klaren Auftrag, einen Auftraggeber und eine Zielgruppe im Blick, die mit dem Design konfrontiert werden wird.

Aus diesem Blickwinkel gesehen wünsche mir dann doch definitiv mehr Designerpfarrer für unsere Kirchen. Mehr Menschen, die aktiv gestalten wollen und dabei keine fromme Kunst machen, sondern ganz die Zielgruppe und den Auftrag im Blick behalten. Mehr Menschen, die darum ringen, in unserer Zeit Heimat für Suchende und Heimatlose zu schaffen und das Gute, das wir erlebt haben, für sie verständlich machen. Designer eben. Und davon nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer.

„Designerpfarrer“ – im Endeffekt habe ich dann meinen Blog so getauft. Vielleicht gerade deshalb, weil der Begriff so zweischneidig ist und irgendwie aufstößt. Vielleicht, weil er meinen inneren Spagat zum Ausdruck bringt. Vielleicht aber auch nur, weil ich Wortspiele liebe.